Mountainbiker lieben Geschichtenerzählen. Bei diesen Geschichten, die auch ich gerne zum Besten gebe, geht es oft fast schon zu wie bei den berüchtigten Fischern und Jägern, die dafür bekannt sind, schon mal ordentlich aufzuschneiden. Es heißt, dass auch Mountainbiker bei der Angabe von Kilometern und Höhenmetern nicht gerade zurückhaltend sind. Und auch wenn es darum geht, wieviel Strecke bei einer Tour fahrbar ist oder effektiv im Sattel bewältigt wurde, wird im Zweifelsfall verkündet "alles gekurbelt", denn Schiebepassagen bergauf und bergab werden sehr gerne unterschlagen. Wer gibt denn schon gerne zu, aus dem Sattel gestiegen zu sein!
Über eine derartige Geschichte habe ich auch von der Tour über das Madritschjoch erfahren... "für einen Mountainbiker ein absolutes Muss ist das Madritschjoch". Denn nur mit den Klassikern am Gardasee wie Tremalzo, Altissimo, Monte Baldo ist anscheinend kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Bei einer Recherche im Internet bin ich dann auf einen Artikel des Bike-Magazins gestoßen: www.bike-magazin.de/reise_gps/reviere/italien/italien-panorama-tour-madritschjoch-ostalpen/a855.html. Und auch das renommierte Bike Magazin kann angesichts der Madritschjoch Tour nicht von Superlativen lassen. Da steht nämlich bei der Tourinfo zu lesen: "ca. 75 Km, 4.800 Hm, davon 2.100 per Seilbahn", und nach der Schaubachhütte "warten noch 2.700 Höhenmeterbergauf". Na na, so heftig auch wieder nicht! Von der Schaubachhütte (2.573 ) zum Madritsch Joch (3.123 m) sind es genau 550 Hm, da war jemand wohl schon sehr weit im Unterzucker. Oder es ist eben auch eine Mountainbiker Geschichte - dazu noch sehr amüsant zu lesen.
Nach der Recherche war klar, ich musste auch diese Perle auf meine Kette fädeln. Also bei den MTB-Kollegen kräftig für die Madritsch-Joch-Tour geworben, einen Sommertag mit Kaiserwetter ausgewählt und los ging es.
Start der Tour war in Latsch im Vinschgau, von dort fuhren wir mit dem Zug um 7 Uhr bis Spondinig und sparten uns so 20 langweilige Kilometer auf dem Radweg. Nach dem Ausladen der Bikes am Bahnhof ging es über Asphalt nach Prad, weiter nach Gomagoi, dort von der Stilfser Joch Straße links abzweigend bis nach Sulden. In Sulden nach den ersten 20 Kilometern und 1.000 Höhenmetern war es Zeit für eine Cola und ein Speckbrot, bevor wir die nächsten 1.200 Höhenmeter in Angriff nehmen wollten.
Kleine Stärkung - Cola und Speckbrot |
1.200 Höhenmeter auf knapp 8 Kilometern Strecke, das entspricht einer durchschnittlichen Steigung von 15 Prozent! Mit Rampen um die 30 Prozent. Das heißt Kette links, Kopf nach unten, auf die Zähne beißen und kurbeln, kurbeln, kurbeln.
Blick zurück von der Schaubachhütte auf Sulden |
Erste kurze Rast und warten auf die ganze Gruppe war bei der Schaubachhütte angesagt. Eine Cola half dabei, den Zuckerhaushalt kurzfristig aufzustocken. Der majestätische Anblick von Ortler und Königsspitze war schon fast Lohn genug für die bisherigen Strapazen.
Vor der majestätischen Königsspitze auf der Schaubachhütte |
Nachdem alle Biker eingetroffen waren, ging es weiter zur Madtrischhütte. Die Mittagspause war fällig und wir haben dort vor dem letzten Anstieg noch einmal mit einer riesigen Portion Pasta und reichlich gespritzem Apfelsaft die Energiespeicher gefüllt.
Mittagsrast bei der Madritschhütte |
Kurz vor unserem Aufbruch kam ein lokaler Bikeguide mit einer kleinen Gruppe an (mit Seilbahn geshuttlet und dann gekurbelt und geschoben). Alle hatten schwere Allmountain-Bikes und die Protektoren für die Abfahrt im Rucksack, also nix zum Klettern. Auf unsere Nachfrage, wie der restliche Aufstieg wohl zu bewältigen sei (500 Hm auf 3 Km), meinte er lapidar mit einem vernichtenden Seitenblick auf unsere Hardtails, ab jetzt wäre wohl Schiebestrecke, zuerst einmal bis zum Madritschjoch und dann wohl noch einen Teil bergab.
Klettern... Kette links, Kopf nach unten... |
Das war für unsere MTB- und alpinerfahrene Truppe natürlich zuviel der Worte! Gestärkt mit Espresso, einem Berg Nudeln und zwei großen gespritzten Apfelsäften traten wir an. Die steile Rampe von der Madritschhütte weg über eine steile Skipiste hoch bis zum steilen Pfad. Gefühlte 100 Augenpaare im Rücken und gewillt, solange man in Sicht der Hütte war, nicht vom Rad zu steigen. Mit Puls auf 170, das Essen ganz oben im Hals, aber immer noch im Sattel, sind wir dann an einer Gruppe deutscher Alpencrosser vorbei gekurbelt, die respektvoll ihr Bike-Schieben unterbrachen und uns vorbei ließen. Wanderer schüttelten ungläubig den Kopf und motivierten uns mit ihren Kommentaren.
Im Sattel bleiben... |
Nach wenigen Abwürfen und kleinen Atempausen, um von Puls 185 wieder auf 170 zu kommen, kam dann die gesamte Truppe am Madritschjoch an. Fahrenderweise! Wäre ja noch schöner!
Angekommen am Madritschjoch 3.123 m |
Die über 30 Kilometer lange Abfahrt, bei der man über 2.400 Höhenmeter verbrennt, hat es in sich. Die ersten 30 Meter bewältigt man am Besten schiebend, weil dort sehr lockerer Untergrund und der ausgesetzte Steig eine zu hohe Gefahr darstellen. Der Rest ist bis zum Marteller Stausee auf 1.800 Metern Meereshöhe pures Trailvergnügen. Oben technisch (bis 40 Prozent Gefälle), steil, verblockt und teilweise ausgesetzt wird dieser immer fließender und das Grinsen im Gesicht der Biker immer ausgeprägter.
Technischer Trail |
Trail im Fluß... "flowig" was für ein Wort |
An der Zufallhütte schöpften wir noch einmal Atem und genossen im spätnachmittäglichen Sonnenschein ein kühles Getränk, fuhren dann weiter und verabschiedeten uns am Marteller Stausee von den Trails. Die Strecke von Martell bis Latsch kann man zwar noch um viele kleine Trails links und rechts der Hauptstraße anreichern, bevor man die Tour beendet, aber das wäre nur ein künstliches in die Länge ziehen, was natürlich zu Ende gegangen ist und würde das perfekte Tourerlebnis nur noch marginal verbessern.
Details zur Tour und Download der GPX-Dateien unter: www.gps-tour.info/de/touren/detail.88058.html
Mit der GPX-Datei lässt sich die Tour ganz toll auf Google Earth nachfahren und nachempfinden.
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